Elektronischer (Straf-)Gerichtssaal der Zukunft
In Köln soll der erste deutsche „elektronische Strafgerichtssaal“ geschaffen werden. Ziel ist es, durch audiovisuelle Aufnahmen von allen Verfahrensbeteiligten während der Verhandlung und mithilfe Künstlicher Intelligenz eine Verhandlungsaufzeichnung zu erstellen, die das bisher manuell gefertigte Protokoll ersetzen kann. Hierzu hat sich ein Team aus Wissenschaft, Justiz, Anwaltschaft und Wirtschaft zusammengeschlossen, um in einem gemeinsamen Forschungsprojekt die rechtlichen und technischen Rahmenbedingungen von Digitalisierungsprozessen im Gerichtssaal auszuloten.
Wird im Strafverfahren ein Rechtsmittel gegen ein Urteil eingelegt, kann das schriftliche Verhandlungsprotokoll von wesentlicher Bedeutung sein. Insbesondere wird es im Revisionsverfahren zur Feststellung von Verfahrensverstößen herangezogen. Jedoch herrscht oft Uneinigkeit darüber, ob das Protokoll im konkreten Fall Beweiskraft entfaltet, da es nach wie vor manuell angefertigt wird und deshalb nicht selten Fehler und Lücken aufweist.
Das Forschungsprojekt „Elektronischer (Straf-)Gerichtssaal der Zukunft“ macht es sich zur Aufgabe, eine digitale und mithilfe Künstlicher Intelligenz erstellte Alternative zum bisherigen Protokoll anzubieten und zu untersuchen. Dazu werden nicht nur die technischen Möglichkeiten und Grenzen eines K.I.-basierten Protokolls zunächst im studentischen Gerichtssaal der Universität zu Köln und später am Landgericht Köln ausprobiert, sondern insbesondere auch die rechtlichen Herausforderungen für eine solche Lösung untersucht.
Mit einem von Fujitsu hergestellten und in Spanien bereits in der Praxis verwendeten Aufzeichnungssystem lassen sich Ton- und Videoaufzeichnungen von Gerichtsverhandlungen anfertigen und im Nachgang der Verhandlung speichern und verwalten. Mithilfe Künstlicher Intelligenz lässt sich aus der Tonaufzeichnung ein Verhandlungsprotokoll in Textform erstellen. Ein solches für die rechtliche Praxis funktionales Speech-to-Text-System wäre im deutschsprachigen Raum bisher einmalig.
Damit ein solches System seinen Weg in die gerichtliche Praxis finden kann, gilt es jedoch, seine Vereinbarkeit mit den bestehenden Grundsätzen des Verfahrensrechts zu untersuchen. So könnte beispielsweise eine Aufzeichnung der Hauptverhandlung je nach technischer Ausgestaltung die VertreterInnen der Öffentlichkeit davon abhalten, der Sitzung beizuwohnen und so dem Öffentlichkeitsgrundsatz nach § 169 S. 1 GVG, Art. 6 Abs. 1 EMRK entgegenstehen.
Auch könnte ein solches System dem Grundsatz der richterlichen Überzeugungsbildung nach § 261 StPO zuwiderlaufen, wonach das Gericht auf Basis einer tragfähigen Tatsachengrundlage frei entscheidet. Die Aufstellung von Kameras innerhalb des Gerichtssaales verändert möglicherweise das Aussage- und Frageverhalten der Verfahrensbeteiligten.
Solche Fragen stellen sich nicht nur im Zusammenhang mit dem Einsatz der Technik im Verfahren, sondern auch im Hinblick auf die Aufbewahrung, Herausgabe und Vernichtung des aufgezeichneten Materials. Erst wenn eine Regelung gefunden wird, welche die Persönlichkeitsrechte der Beteiligten auf der einen und das staatliche Interesse an der Aufklärung von Straftaten auf der anderen Seite ausreichend berücksichtigt, kann das digitale Protokoll eine zukunftsträchtige Alternative zum Status quo werden.